An der Börse gibt es nichts, was es nicht gibt. Angefangen bei Fibonacci und Elliott über Ichimoku führt die Liste der skurrilen Techniken der Technischen Analyse bis hin zu Mustern wie “Andrews’ Pitchfork” (zu deutsch: Andrews Mistgabel). Wer eine solche Mistgabel im Chart identifiziert, so die Idee, kann daraus Profit schlagen.
Lange habe ich mich gefragt: Wie kann so etwas Verrücktes überhaupt funktionieren? Heute möchte ich dir drei Antworten liefern, die etwas Licht ins Dunkel bringen können.
● Die Märkte sind nicht effizient. Das an sich ist noch keine richtige Erklärung, warum technische Trading-Methoden funktionieren können. Aber es ist die Grundlage dafür. Mit “nicht effizient” meine ich, dass nicht alle Informationen sofort angemessen eingepreist sind, Marktteilnehmer verhaltensbasierten Effekten unterliegen und Kurse mit bestimmten Wahrscheinlichkeiten sich wiederholende Muster ausbilden.
● Sich selbst erfüllende Prophezeiung. Ein alter Hut, von dem jeder Trader schonmal gehört hat. Ein gutes Beispiel ist Fibonacci: Wenn ein offensichtliches Retracement auf den Punkt genau getriggert wird und der Kurs demnach auf die Marke reagiert, springen Trader auf diesen Impuls auf. Scheitert die sofortige Bestätigung, gibt es keinen Trade oder einen schnellen Ausstieg. Aber auch im weiteren Sinn ist die sich selbst erfüllende Prophezeiung eine gute Erklärung – dann nämlich, wenn exakt das Gegenteil passiert. Wenn sich zum Beispiel ein klares Verkaufssignal nach der alten Dow-Theorie als Fehlsignal entpuppt, weil zu viele Marktteilnehmer auf das Offensichtliche gesetzt haben.
● Trend- bzw. Mean-Reversion-Regimes an den Märkten. Seitwärtsphasen und Trends wechseln sich immer wieder ab, sodass keine Technik permanent gut funktioniert. In den Phasen, in denen Trendtechniken funktionieren, ist es dann weniger wichtig, welche genaue Technik man verwendet – alles funktioniert mehr oder weniger gut, auch die skurrilen Methoden, solange es irgendwie trendfolgend ist. Das gleiche gilt umgekehrt für Mean-Reversion-Regimes.
Meiner Meinung nach ist der dritte Punkt entscheidend. Grundlegend für Mean-Reversion- und Trend-Regimes ist die Trendpersistenz oder -antipersitenz, denen die Kurse unterliegen. Diese lässt sich für eine beliebige Zeitreihe über den Hurst-Exponent messen. [1]
Der Hurst-Exponent beschreibt den Grad der Autokorrelation einer Zeitreihe und kann zwischen 0 und 1 liegen. Werte kleiner 0,5 zeigen eine antipersistente Zeitreihe an, die zu Mean Reversion neigt. Werte größer 0,5 zeigen eine persistente Zeitreihe an, die zu Trends und Momentum neigt.
Oder einfacher ausgedrückt: Bei Werten kleiner 0,5 folgt auf einen Kursanstieg wahrscheinlich eher ein Kursrückgang (und umgekehrt). Bei Werten größer 0,5 folgt auf einen Kursanstieg wahrscheinlich eher ein weiterer Kursanstieg und umgekehrt.
Wichtig dabei: Je näher der Hurst-Exponent an 0 oder 1 liegt, desto extremer wird das entsprechende Kursverhalten – und desto besser funktionieren die jeweiligen technischen Handelsstrategien (Mean Reversion bzw. Trendfolge). Bei Werten nahe 0 zucken die Kurse ständig auf und ab, bei Werten nahe 1 laufen sie fast geradlinig nach oben oder unten.
Um das Ganze auf den Punkt zu bringen: Die verrückteste Trading-Methode kann funktionieren. Nicht, weil sie besonders “clever” ist, sondern weil sie im Kern einfach Mean Reversion oder Trendfolge entspricht und im richtigen Marktumfeld gerade gut funktioniert.
Was braucht es aber, um Handelsstrategien langfristig durchzuhalten? Früher oder später wechseln sich Mean-Reversion- und Trendregimes ab, sodass jede Methode Drawdown-Phasen durchlebt. Um das zu überstehen, braucht es vor allem 2 Dinge:
● Vertrauen in die Methode. Der feste Glaube, dass es auf lange Frist funktionieren wird. Daraus schöpft sich die Energie des Traders, auch in schlechten Phasen weiterzumachen und nicht ständig die Methode anzupassen.
● Ausgefeiltes, konservatives Risikomanagement. Nur, wer seine Verluste nicht außer Kontrolle geraten lässt, kann langfristig profitabel traden. Das gilt ganz grundsätzlich und unabhängig davon, welche Trading-Methode eingesetzt wird.
Das soll natürlich nicht heißen, dass alle skurrilen Trading-Methoden funktionieren. Aber es zeigt die Lösung zur Frage, warum einige scheinbar haltlose Methoden dennoch Gewinne ermöglichen. Andererseits ist dadurch Tür und Tor für absurde Analysemethoden geöffnet, die viele Trader nur verwirren und Trading für Außenstehende noch undurchschaubarer machen.
Marko Momentum
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[1] Wikipedia, Hurst exponent, Zugriff am 13.10.2015